Fareed Armaly
"Program"
1998

Im Rahmen des aktuellen Projekts "weitergehen" realisierte der amerikanische Künstler Fareed Armaly 1998/99 sein TV-Projekt "Program". Das Fernsehen und die spezifische Wirklichkeit des öffentlichen (-rechtlichen) Raums Fernsehen sind bei "Program" Thema und Medium zugleich. Ziel war die Produktion mehrerer kurzer Fernsehsendungen, die aus verschiedenen Blickwinkeln die spezifische Identität reflektieren, die das Fernsehen und seine Öffentlichkeit verbindet. Die Sendungen sind für die Ausstrahlung im TV-Nachtprogramm konzipiert und werden voraussichtlich in 2000 ausgestrahlt.

Der öffentlich (-rechtliche) Raum Fernsehen wird zum Thema für "Kunst im öffentlichen Raum". Mit der These "Das öffentliche Bild (wird) zum öffentlichen Platz" beschreibt der französische Philosoph Paul Virilio prägnant den Strukturwandel der Öffentlichkeit durch die visuellen Medien. Gerade das Fernsehen vermittelt uns heute eine medienspezifisch konstruierte Realität, die immer größeren Einfluß auf unser Weltbild und auch auf die Ausbildung einer persönlichen Identität hat. Wie bei der Gestaltung eines städtischen Platzes fällt dabei auch im öffentlichen Raum Fernsehen der Konstruktion des ästhetischen Erscheinungsbildes eine entscheidende Funktion zu. Wenn das öffentliche Bild, das Fernsehen, heute tatsächlich die kommunikativen und politischen Funktionen des historischen Platzes übernommen hat, ist es zwangsläufig ein wichtiges Thema und ein relevanter Ort für eine öffentliche Kunst, die sich nicht allein auf kunstimmanente Probleme beschränken will, sondern sich als gesellschaftliche Praxis in verschiedenen Handlungsfeldern des Alltags definiert.

Dieser Anspruch bildet die Basis für "Program". Fareed Armalys Projekt ist im Schnittfeld dreier öffentlicher Institutionen angelegt: Die Universität Hamburg, das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Kulturbehörde. Produktionsprozesse, Recherche, Workshops, Interviews und anderes sind neben der Produktion und Ausstrahlung der TV-Clips integrative und gleichwertige Bestandteile von Armalys Projekt. Der Künstler arbeitet seit Beginn des Sommersemesters als Lehrbeauftragter am Medienwissenschaftlichen Institut der Universität Hamburg mit einer studentischen Projektgruppe an "Program". Diese Gruppe wird durch Gäste wie Lo Breier vom Hamburger Design Büro X (entwickelte das neue Erscheinungsbild der ARD) und des in Hamburg lebenden Drehbuchautors Rainer Kirberg (Scriptwriter der Charaktere in "Gute Zeiten, schlechte Zeiten") ergänzt. Neben der historischen Recherche - unter anderem im NDR-Archiv zur Entwicklung des Erscheinungsbildes und der Programminhalte eines öffentlich-rechtlichen Senders - führt die Gruppe der Studierenden, die alle mit dem dualen System von privatem und öffentlich-rechtlichen Fernsehen aufgewachsen sind, Interviews mit Zuschauern älterer Generationen durch, deren Fernsehwelt allein durch die öffentlich-rechtlichen Bilder geprägt wurden.

Dieser Prozess führt abschließend zu einem TV-Programm, bestehend aus einer Abfolge kurzer Kapitel, geplant zur Ausstrahlung im Nachtprogramm der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Jede Episode soll einen Charakter zeigen, der den Konventionen des Theaters folgend, das Innere durch Monologe enthüllt. Diese Monologe werden das verflochtene Spiegelspiel zwischen zwei konstruierten Charakteren als eine Identität vermitteln - der des deutschen Fernsehens auf der einen und der des Fernsehpublikums auf der anderen Seite. Die Betonung auf die Sprache ist eine Referenz an die Anfänge des Fernsehens als "Radio mit Bildern". Die Erzählstruktur soll die Zuschauer durch die Erinnerung einer medialen und nationalen Identität, eines kulturellen Raumes führen, der in der Gestaltung und Geschichte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zum Ausdruck kommt.

Zeit und Ort der Ausstrahlung wird mit "Ambient Videos" assoziiert und orientiert sich an den Vorgaben der bereits existierenden Nachtprogramme, die um vier Uhr morgens einen Blick durch die Windschutzscheibe eines Autos, einer S-Bahn oder eines Raumschiffes zeigen. "Program" inszeniert dieses spezifische Sehverhalten als Blick auf beziehungsweise in den Fernsehbildschirm, um mit den sich überschneidenden Realitäten zu arbeiten, die darin sichtbar werden: mit dem Fernsehen als alltäglichem Instrument - dem Akt des Zuschauens als eine kollektive Erfahrung - dem Ort des Zuschauens, dem privaten Raum des Einzelnen.

Vor dem Hintergrund, den ihm die spezifischen kulturellen Unterschiede bieten, arbeitet der amerikanische Künstler Armaly, 1957 in Iowa City geboren, seit Jahren in Deutschland und Europa aus einer besonderen individuellen Perspektive. "Program" reflektiert die in Deutschland und den USA sehr unterschiedliche, aber dennoch eng miteinander verkettete Medienentwicklung in der Nachkriegszeit. Dies betrifft sowohl die soziokulturelle Rolle des Mediums Fernsehen als auch dessen besonderes historisches Erbe in Deutschland. Als Teil des Projekts gilt es auch zu entdecken, wie diese unterschiedlichen Perspektiven Bedeutung gewinnen.

Fareed Armaly, der ab Anfang 1999 die künstlerische Leitung des Künstlerhaus Stuttgart übernehmen wird, lebt auf Einladung der Kulturbehörde drei Monate in einem Gastatelier auf der Fleetinsel im Rahmen eines Stipendien-Programms. Neben seiner Arbeit an "Program" hielt er bereits einen Gastvortrag an der Hamburger Hochschule für bildende Künste und führte dort einen mehrtägigen Workshop durch.

Kürzlich realisierte verwandte Ausstellungsprojekte des Künstlers waren "Parts" im Kunstverein München 1997 (mit Publikation), "Scale" im Forum Stadtpark Prag 1995 und ebenso eine Hamburger Version von "MIX", 1994 als Teil der "temporary translations"-Sammlung Schürmann in den Deichtorhallen.

A. K.


Literatur :

weitergehen 1, Newsletter, Hamburg April 1997

weitergehen 2, Newsletter, Hamburg Oktober 1997

Marius Babias; Achim Könneke (Hg.): Die Kunst des Öffentlichen. Projekte/Ideen/Stadtplanungsprozesse im politischen/sozialen/öffentlichen Raum, Amsterdam/Dresden 1998

Forum Stadtpark Prag (Hg.): Fareed Armaly. Scale, Prag 1995 (engl.)

Kunstverein München (Hg.): Fareed Armaly. Parts, 2 Heftbände, München 1997 (dt./engl.)



Weitere Arbeiten:


1997 "bridge", Videoarbeit, Teilnahme am Projekt "Bridge / The map is not the territory"


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