Richard Serra
"T.W.U."
1980/1989
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Trutzig, rostig, massiv erhebt sich Richard Serras Turmbau "T.W.U." (1980) zwischen der östlichen Bahnunterführung des Hamburger Hauptbahnhofes und den beiden Deichtorhallen. Ein spröder und doch faszinierender Koloss aus drei identischen, jeweils 10,97 Meter hohen, 7 Zentimeter dicken und 3,66 Meter breiten Stahlplatten konstruiert ­ schwer und wuchtig wie das Material aus dem er gearbeitet wurde, zugleich merkwürdig labil und brüchig anzusehen. Denn die drei hochkant zusammengestellten Platten sind ­ wie es scheint ­ nur aneinandergelehnt, werden allein durch das eigene Gewicht in ihrer Position gehalten. Unsere Wahrnehmung wird zusätzlich verwirrt, weil sich Teile der Skulptur aus der Vertikalen neigen. Rost hat sich im Lauf der Jahre in unregelmäßig dicken Schichten auf den unpolierten Stahlgrund gelegt ­ eine im Sonnennlicht matt schimmernde, orange-braune Haut, die den Eindruck der Härte und Beständigkeit des Materials reduziert, den an blanke, polierte Flächen gewöhnten Blick provoziert.

Um sich von "T.W.U." (Abkürzung für "Trade Worker Union") als Ganzes eine Vorstellung machen zu können, muß der Standort mehrmals gewechselt werden, irritierend unterschiedliche Ansichten sind zu kombinieren. Dieser Turmbau fordert den Betrachter heraus, bezieht ihn mit ein. Bei jeder Standortveränderung verändert sich auch das Bild der Plastik. "Bewegung des Betrachters", sagt Serra, "hat durch verschiedene Erscheinungsformen Bewegung der Skulptur zur Folge. Schritt für Schritt modifiziert sich die Auffassung von der Skulptur."

Der 1939 in San Francisco geborene Bildhauer, der jahrelang als Arbeiter in Stahlfabriken seinen Lebensunterhalt verdiente und die Möglichkeiten und Tücken des Materials Stahl genau kennt, hat mit seinen kühnen Außenplastiken schon vielfach die Gemüter erhitzt. In New York sammelte die Bevölkerung Unterschriften für die Beseitigung der Arbeit "Titled Arc" ­ im März 1989 wurde der große Stahlbogen schließlich zerstört. In Bochum warb 1979 die CDU im Wahlkampf für die Beseitigung des "Terminals", der bereits 1977 während der documenta 6 in Kassel für Aufregung gesorgt hatte.

Serras Skulpturen, die weder auf Dekoration noch auf Repräsentation ausgerichtet sind, verunsichern, provozieren. Eigenwillig behaupten sie sich an den urbanen Standorten, für die der Künstler sie geschaffen hat. Der Hamburger Turmbau "T.W.U." war zunächst 1980 auf dem West Broadway in New York aufgestellt, inmitten grauen Häuserschluchten, umtost vom Großstadtverkehr. Als die Deichtorhallen mit der legendären Ausstellung "Einleuchten" 1989 ihre Tore öffneten, wurde der stählerne Riese an seinem jetztigen Standort installiert. Serra selbst hat diesen "idealen Platz für die dauerhafte Präsentation gefunden", betonte Hamburgs Kultursenatorin Christina Weiss, die sich für den Ankauf der Plastik stark gemacht hat. Wie glücklich der Standort für die Skulptur ist, darüber läßt sich streiten. Wer sich, wie die meisten Besucher, vom westlich gelegenen Haupteingangsbereich den Deichtorhallen nähert, dem springt erst einmal das elf Meter hohe Doppelring-Signet des Stifters Kurt A. Körber ins Auge, das an zentraler Stelle dominiert. Der "T.W.U.", ganz am östlichen Ende des gepflasterten Areals, scheint dagegen ins Abseits geraten. Serra schreckte die schwierige Platzsituation nicht. Er vertraut auf die Kraft seiner Arbeit und ist davon überzeugt, daß "die Skulptur die einzigartige Fähigkeit besitzt, ihren eigenen Ort und ihren eigenen Raum zu schaffen."
Angelika Kindermann

Literatur:

Kulturstiftung der Länder; Deichtorhallen Ausstellungs-GmbH (Hg.): Die Skulptur T.W.U. von Richard Serra, PATRIMONIA Heft 55, Hamburg 1992

Martin Schwander (Hg.): Richard Serra - Intersection Basel, Basel 1996

Standort: Vorplatz der Deichtorhallen, Altländerstraße - U-Bahn-Linie U1, Station Steinstraße

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