Lawrence Weiner
"Ein bißchen Zeit + ganz viel Ebbe - Time + Tide"
1989
1

Der Satz "Ein bißchen Zeit + ganz viel Ebbe" wird von dem in Klammern gesetzten Schriftzug "Time + Tide" gekreuzt, so daß das '+' sowohl als 'Plus' als auch als Kreuz zu lesen ist und in beiden Richtungen zur Verwendung kommt. Die Holzbuchstaben, Versalien in der Schrifttype Franklin Gothic, Höhe der Lettern 60 Zentimeter, sind in den Boden eingelassen, wobei der Raum zwischen den Lettern und den Pflastersteinen mit Teer ausgefüllt ist. Die Arbeit wurde installiert anläßlich der Eröffnungsausstellung der Deichtorhallen, "Einleuchten".

Die Worte beziehen sich in doppelter Weise auf den Ort: sowohl auf den maritimen Aspekt in der geographischen Lage Hamburgs als auch direkt auf den Platz zwischen den Deichtorhallen. Beim Abschreiten der Arbeit, die nicht auf einen Blick zu erfassen ist, bemerkt man, daß der Boden nicht eben, sondern wellenförmig ist ­ eine Analogie zum Auf und Ab der Gezeiten, auf das die Worte 'Ebbe' und 'Tide' Bezug nehmen.

Durch den Wechsel vom Deutschen ins Englische ergibt sich die Assoziationsreihe Gezeiten-Zeit zu Tide-Time.

Weiner, 1940 in der South Bronx in New York geboren, zählt seit den sechziger Jahren zu den zentralen Figuren der Concept Art. Die Konzentration auf sprachliches Material hat er 1972 in einem Interview damit begründet, "daß, wenn man sich im wesentlichen mit der Idee dessen beschäftigt, was man macht, sei es das Herstellen von Skulpturen oder Bildern oder ein Tanz, die sauberste Art und Weise der Präsentation die verbale Information ist."

Als konsequenter Konzeptkünstler sieht Weiner das Werk schon in Form einer Idee im Prinzip als realisiert an. Die Auffassung, daß die konkrete Ausführung der Arbeit nichts Essentielles hinzufügen kann, kommt in einer 1968 verfaßten Erklärung zum Ausdruck, die Weiner bis heute allen Werken hinzufügt und seither 'Statements' nennt:

"1. Der Künstler kann die Arbeit herstellen
2. Die Arbeit kann angefertigt werden
3. Die Arbeit braucht nicht ausgeführt zu werden.
Jede Möglichkeit ist gleichwertig und entspricht der Absicht des Künstlers. Die Enscheidung über den Zustand liegt bei dem Empfänger im Falle einer Übernahme."

Diese Erklärung könnte suggerieren, daß Weiner selbst es bei der konkreten Ausführung seiner Werke nicht so genau nähme. Das Gegenteil ist der Fall. Jede Realisierung verbindet sich, wie auch vor den Deichtorhallen, mit besonderen Bedingungen des Ortes sowie mit körperlichen Erfahrungen, die Einfluß auf den Sinn der Aussagen haben.

Ein zweites, in Hamburg realisiertes und inhaltlich mit der Deichtorhallen-Installation verbundenes Werk ist vor Ort nicht mehr zu besichtigen. Es handelt sich um Weiners Beitrag zum "Hamburg Projekt 1989". Auf der Höhe des Fischmarktes schwamm ein Holzbalken auf der Elbe, mit einer Kette am Ufer verankert. Sein oberes Ende ragte bei Flut wie ein Schiffsbug aus dem Wasser. Auf den gegenüberliegenden Seiten des Balkens war jeweils ein Teil des folgenden Satzes zu lesen: "Wir sind keine Enten auf dem Teich, wir sind Schiffe auf dem Meer."

Ludwig Seyfarth


Literatur:

Ingrid Burgbacher-Krupka (Hg.): öffetlich. public freehold. Lawrence Weiner. Ulrich Rückriem, Stuttgart 1992

Lawrence Weiner. From Point to Point ­ Von Punkt zu Punkt, Köln 1995


Weitere Arbeiten:

1989 "Wir sind keine Enten auf dem Teich, wir sind Schiffe auf dem Meer", Teilnahme am "Hamburg Projekt 1989"




Standort:
Vorplatz der Deichtorhallen, Altländerstraße - U-Bahn-Linie U1, Station Steinstraße

[Allgemeines] [Neu] [Projekte] [Einzelwerke] [Mahnmale] [Index] [Standortplan] [Hamburg]