"Stadtfahrt"
September 1993
Ein Projekt von Sabine Siegfried und Eva Bothe
Sieben internationale Künstlerinnen und Künstler wurden für "Stadtfahrt" eingeladen,
je eine Bustour zu planen. In der City wurde von den beiden Kuratorinnen ein Organisations-
und Ticketbüro eingerichtet, von dem auch die Busse starteten. Jedem Künstler stand ein
Tag zur Verfügung, an dem in der Regel zwei Fahrten - eine vormittags, eine am Abend -
stattfanden.
Bei "Stadtfahrt" schlüpften die Künstlerinnen und Künstler in die Rolle der Stadtführer
und provozierten erst durch die zu erwartende Rollenverschiebung die Teilnahme des
lokalen Publikums.
Ingold Airlines, "Hier sein heißt dort sein können (Carlo E. Lischetti)"
Res Ingold nutzte die Bustour als Promotion für seine Fluglinie Ingold Airlines. Das Flugteam
aus Flugkapitän, Stewardess und Bordmechaniker sorgte für einen angenehmen Aufenthalt.
Die Fluggäste wurden mit Ingold Airlines-Wein beköstigt, den sie auch Duty
free einkaufen konnten. Per Videofilm und üblichen Ansagen des Flugteams
entwickelte sich die Busfahrt zu einem Flugerlebnis der besonderen Art.
Martha Rosler, "Ein leeres Grundstück in Ottensen - verseucht mit Geschichte, Kapital und Asbest"
Martha Rosler führte zu historischen Stätten jüdischer Gemeinden und Friedhöfe in Hamburg.
Dort lasen die Fahrgäste Texte zur Judenverfolgung und zum wenig sensiblen heutigen
Umgang mit den Stätten jüdischer Kultur.
Michael Deistler, "50 Körper ./. 50 Zeiten = 1 Bus"
Michael Deistler ließ den Bus während der Dämmerung stundenlang über die höchste
Elbbrücke hin und her pendeln, eine Stadterfahrung, die vorher wohl niemand gemacht
hatte. Nach einem Essensstop in der Oberhafenkantine überraschte er dann die
Fahrgäste mit einem Besuch in einem Autokino.
Kirsten Mosher, "Tour Bus Race Tour"
Kirsten Mosher ließ zwei Linienbusse im Hafengebiet zu einem Wettrennen gegeneinander
antreten, der Sieger erhielt stilgerecht eine Flasche Champagner.
Krzysztof Wodiczko, "Bericht eines Einwanderers"
Krzysztof Wodiczkos Bustour basierte auf der Geschichte eines Schwarzarbeiters aus
dem ehemaligen Jugoslawien, der seit 11 Jahren in Norddeutschland und Hamburg lebt
und illegal arbeitet. Die Route folgte den Stationen seines Lebens und seiner
diversen Arbeitsstätten. Die der Tour zugrundeliegende Erzählung des Arbeiters wurde
während der Fahrt im Bus von einem Sprecher vorgetragen.
Jochen Gerz, "Hierophanie"
Jochen Gerz dagegen ließ seine Mitfahrer Route und Thema selbst bestimmen.
Die Fahrgäste wurden zu Stadtführern und entwarfen durch ihre kleinen Vorträge
an Orten ihrer Wahl ein Kaleidoskop 'ihres' Hamburg.
Dennis Adams, "Montenegro"
Dennis Adams entführte die Fahrgäste mit unbekanntem Ziel, wobei der Stadtbesichtigungs-Bus
dank schwarz verklebter Scheiben den Fahrgästen keinerlei Möglichkeit bot den Fahrweg
nachzuvollziehen, geschweige denn, einen Blick auf die Stadt zu werfen. Am Ziel der Fahrt
angekommen, wurden die Fahrgäste ohne Vorwarnung in eine fremde Welt geworfen, die
ihnen bisher nur vom sicheren Platz vor dem heimischen Fernsehgerät bekannt war:
Ein Containerdorf mit asylsuchenden Roma und Cinti. Wie sehr diese fremde Welt doch
die ihre ist, wurde vielen im Laufe der stattfindenden persönlichen Begegnungen deutlich.