Anröchter Dolomit, Durchmesser circa 0,80 Meter; Reihe aus Zeichnungen und Fotografien, 10 Meter lang
Seit 1996 liegt in der Eingangshalle des Geomatikums der Universität
Hamburg eine große Oktaederkugel des Steinbildhauers Klaus Becker. Keine echte Kugel,
sondern ein Vielflächner, genauer ein 258flächner. Ergänzt wird die Installation
durch Zustandsfotos und Zeichnungen der verschiedenen Werkstufen. Klaus Becker,
1956 in Hamburg geboren, beschäftigt sich seit einigen Jahren mit den Inkugeln der
regelmäßigen Polyeder. Er haut die Körper aus Stein, um sich dann durch schrittweise Brechung
der Ecken und Kanten den Inkugeln als Grenzform zu nähern. Dabei interessieren den Künstler weniger
die Endformen, als vielmehr die auf dem Wege dahin sich dauernd verändernden Oberflächenstrukturen.
Diese werden als Frottagen (Steinabreibung) und Fotografien dokumentiert. Mit Zeichnungen wird der
Weg schrittweise vorgedacht und nachgedacht. Es werden Verzweigungen, Netze, kristalline Formen
bis pflanzliche Strukturen sichtbar.
Die Installation wurde 1998 durch die Kulturbehörde angekauft und wird auf Dauer im Geomatikum verbleiben.
Steinabreibung von Oktaederkugel - ein fiktives Interview
Wie ist die Kugel entstanden?
Ich habe aus einem teilweise vorgesägten Steinblock von Anröchter Dolomit einen Oktaeder gehauen
und dann in vielen Arbeitsschritten auf einfache Steinmetzart mit Hammer und Meißel diese Kugel gehauen.
Ganz nüchtern lautet die Arbeitsvorschrift: Ausgehend von einem Oktaeder werden die Ecken und Kanten
dieses Körpers in der Weise "abgeschnitten" (gebrochen), daß die neu entstehenden Flächen die Inkugel
des Körpers tangieren.
Mit Hammer und Meißel? Die Flächen sehen so exakt aus!
Ja, zuerst mit Hammer und Meißel, als letztes Werkzeug wird ein Steinbeil benutzt.
Die Spuren auf der Steinabreibung sind die Spuren dieses letzten Werkzeugs.
So haben die Steinmetze auch schon im Mittelalter die Blöcke behauen.
Sieh Dir die glattgehauenen Flächen der Steine in den alten Kirchen an!
Man kann mit diesen Werkzeugen mit der Hand sehr exakte Flächen herausarbeiten.
Mir sind auch die kleinen Fehler lieb, die bei der Handarbeit entstehen.
Unregelmäßigkeiten, die die Oberfläche lebendig machen. So ganz exakt sind die Flächen auch gar nicht.
Mann kann sehen wie sie sich am Rand ein bißchen zerfasern, die große Form der einzelnen Fläche ist klar
zu sehen, aber der Rand zerfällt in vielen Einbuchtungen.
Zur Steinabreibung: Du legst das Papier über den Stein...
Ja, und dann reibe ich mit einem Graphitstift die Struktur durch.
Die entstandene Abreibung gibt nur die halbe Umkreisung der Kugel wieder,
für eine volle Umrundung müßte ich die Abreibung um das Gleiche verlängern.
In dem halben Streifen sind alle Formen enthalten, die auf dieser Linie liegen.
Zusammen mit der anderen Abreibung sind das alle Flächenformen, die auf diesem Kugelzustand vorkommen.
Betrachtest Du die Abreibungen als Muster oder Ornamente?
Nicht im Sinne von Verzierung. Ornamente interessieren mich als Ergebnis einer Kreisbewegung,
eines Prozesses. In der Tat ist das, was ich am Stein mache, ja eine ständige Umkreisung des Steins,
der Stein wird bei der Arbeit immer wieder gedreht und bewegt. Die Kugel ist nur bedingt ein Endprodukt.
Ich habe hier zwar aufgehört, theoretisch könnte ich aber noch weiter die Ecken und Kanten brechen.
Bei den nächsten Schritten würden die Flächen anfangen sich aufzulösen, weil sie zu klein werden.
Da setzt mir das Material, also der Stein und die Werkzeuge, eine Grenze. Mathematisch gesehen könnte es
unendlich weitergehen.
Wieviel Mathematik steckt in Deiner Arbeit?
Das ist reine Mathematik. Abzählen, einen Schritt nach dem anderen machen.
Es funktioniert nur schrittweise, bei meiner Kugelherstellung kann ich keinen Schritt überspringen.
Auf dem letzten Zustand der Kugel sind noch die Reste der ersten, großen Fläche des Anfangs zu sehen,
erkennbar an der gröberen Struktur. Jeder Arbeitsschritt ist als Rest noch vorhanden.
Aber um auf die Frage zu antworten, viel zu rechnen brauche ich dabei nicht,
das meiste löse ich zeichnerisch, vieles ergibt sich auf der Oberfläche selber.
Wie lange brauchst Du für so eine Kugel?
Für eine große Kugel wie diese hier, mit 80 Zentimeter Durchmesser, brauche ich ungefähr drei Monate.
Das ist eine monotone, rhythmische Arbeit am Stein: ping, drehen, weiter ping, ping, weiterdrehen usw.
Dann mache ich von jedem Zustand ein Foto und die Abreibungen. Reine Steinmetzarbeit sind das ungefähr
zwei Monate, insgesamt brauche ich drei Monate.
Bewegung scheint bei Deiner Arbeit ein zentraler Begriff zu sein?
Ja, Bewegung, Veränderung, Zeit. Die periodischen Erscheinungen unseres Alltags
sind auf die Kreisbewegungen unseres Planeten zurückzuführen, Tag und Nacht, die Jahreszeiten.
Auch unsere "Zeitmessung" geschieht ja mit Hilfe einer Kreisbewegung gegen eine feste Skala.
So scheint es mir, als könnten wir den Begriff "Zeit" in unserer Sprache durch den der "Bewegung" ersetzen.
Aber die Arbeit an der Kugel zeigt mir noch einen anderen Ablauf: wenn ich vom Oktaeder zur Kugel komme,
ist es nicht mehr möglich von der Kugel zum Anfang, dem Oktaeder, zurückzukehren. Das Material, das abfällt,
ist verloren, mit jedem Schritt verändert sich etwas. Das scheint im Gegensatz zur Kreisbewegung
eine gerichtete Bewegung zu sein, ein Zeitpfeil, der nicht mehr zu seinem Ursprung zurückkehrt.
Andererseits ist der Prozeß an allen Orten wiederholbar. Ich kann mit einem anderen Stein wieder
von vorne anfangen und komme zum gleichen Ergebnis. Vielleicht ist das eine andere Art von Kreisbewegung.
Wieviele Flächen hat die Oktaederkugel?
Zweihundertachtundfünfzig.
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