Anna Oppermann
"Pathosgeste - MGSMO - Mach große, schlagkräftige, machtdemonstrierende Objekte!"
1991
2 1

Rauminstallation, bestehend aus Fotoleinwänden, Zetteln, Zeichnungen, Skizzen, Fotos, Objekten, Fundstücken, Texten und Schaukästen. Im Zentrum der Arbeit steht eine 2,50 Meter hohe menschliche Figur, um die mehrere Schaukästen und große Fotoleinwände gruppiert sind.


Vermummte im Rathaus ­ in Altona ganz alltäglich. Sogar gleich mehrfach und in unterschiedlichen Größen stehen sie mit erhobenem Arm im linken Teil des Eingangsbereichs und das schon seit 1991. In zahlreichen Varianten dominieren sie das vielschichtige Ensemble "Pathosgeste", das die 1993 im Alter von nur 53 Jahren gestorbene Hamburger Künstlerin Anna Oppermann noch eigenhändig aufgebaut hat.

Eine historische Entsprechung findet die "Pathosgeste" draußen vor dem 1898 eingeweihten Rathaus: Am Fuß des Reiterstandbildes von Kaiser Wilhelm I. erhebt die Personifikation des siegreichen Preußen den Arm. Doch diese vergrünspante Symbolsprache wird so wenig eines verstehenden Blickes mehr gewürdigt, wie das rechte Drittel der Vorhalle mit dem Denkmal für die im ersten Weltkrieg getöteten Stadtbediensteten. Aber auch Anna Oppermanns individuell-lexikalische Bild- und Textschichtung auf der gegenüberliegenden Seite ist - bei aller Aktualität - ein schwerer Stoff für ein Kunstwerk im öffentlichen Raum, erfordert sie doch vom zeitgestressten Passanten lesende Aufmerksamkeit.

Das seit 1984 bearbeitete Ensemble "MGSMO ­ Mach große, schlagkräftige, machtdemonstrierende Objekte", dessen Wurzeln zurück bis 1979 reichen, brauchte nicht nur Zeit zu wachsen, es ist in seinen fast biologisch angelagerten Zuständen geradezu ein Speicher von Zeitschichten und es braucht Zeit, es zu verstehen. Die zahlreichen Textzitate stammen wie Anna Oppermann auflistet, aus den Begriffsfeldern "Pathos, Suggestion, Manipulation, Geld-Macht-Beziehungen, Überzeugungs-, Werbe- und Verkaufsstrategien, Zeitgeist, Postmoderne, Verpackung ...". Auf der documenta 8, wo das Ensemble 1987 erstmals gezeigt wurde, wirkte es als ironischer Kommentar zu den Auswüchsen des Kunstbooms, in den schon durch die Architektursprache pathetischen Räumen eines traditionsbezogenen Rathauses als Ort von Macht werden neue Kontexte gewonnen.

Ganz im Sinne ihrer Methode hat Anna Oppermann in Altona Ergänzungen vorgenommen. In den Kämpfer-Kartuschen über den Kapitellen der Pilaster dieser neoklassizistischen Architektur finden sich nun tragende Begriffe deutschen Funktionierens: 'Disziplin', 'Ordnung', 'Sauberkeit' und 'Bürokratie' manifestieren in roter Schrift die ebenso erfolgreichen wie gehassten, gelegentlich gar mörderischen Sekundärtugenden zu Stützen des Staatsgebäudes. Auch die Geste des erhobenen Arms gewinnt an politischer Bedeutung. In der Schwebe zwischen wütend drohend und sendungsbewußt verkündend wird sie zum Superzeichen einer gesichtslosen, diffusen Argumentationsverstärkung, die hier wie überall in der Gesellschaft die Rede wie das Geschwätz gleichermaßen begleitet.

Die einzigartige Produktionsmethode ihrer Arbeiten beschreibt Anna Oppermann so: "Es fing an mit dem konventionellen Vorhaben, mit Hilfe des aufgebauten Stillebens ein Bild zu finden. Nach dem Stilleben habe ich Zeichnungen gemacht, Kompositionsskizzen. Nach Fertigstellung des Bildes blieb das Bild neben dem Stilleben stehen, auch persönliche Notizen, Skizzen, das Zitat aus einem Buch, in dem ich gerade las, kamen hinzu. Ich wollte mich nicht entscheiden, was im Hinblick auf die Aussage wichtiger oder als besser gelungen zu bezeichnen sei: das reale Objekt, die Skizze, die gedankliche Auseinandersetzung, oder das fertiggestellte Bild. Jedes Teil hatte etwas, was dem anderen Teil fehlte."

In der ausufernden Schichtung der verschiedenen Reflexionsebenen zu gleichgewichtigem Nebeneinander fand Anna Oppermann ihre Problemlösung. Parallel ausgehend von einer Bildfigur und einer Naturform (hier die Tulpe) entsteht eine ganze Bildbibliothek subjektiver und sprunghafter Annäherungen, näher einem Mind-Map der Organisationspsychologen als dem traditionellen Kunstwerk.

In dem zugleich individuell komponierenden und veröffentlichenden Zuordnen von Bild- und Textbausteinen ist die Arbeit Anna Oppermanns verwandt mit dem Prinzip der Denkräume, die der Hamburger Kulturwissenschaftler Aby M. Warburg in den Zwanziger Jahren in den Bezügen seiner Bildtafeln ausbreitete. Anna Oppermann gewinnt zu solchen Bilderbrücken die Dreidimensionalität und die subjektive Veränderung in der Zeit. Als Künstlerin versucht sie gar nicht erst, wissenschaftliche Objektivität zu erzwingen. Jeder künstlerische oder denkende Zugriff auf die Welt ist als individuelle Leistung aber zugleich ein Angebot an andere, das macht das Wesen der Kultur aus.

"Sie denken etwas und fühlen doch, es hat ein anderer den Gedanken gedacht ..." Wenn Anna Oppermann hier aus der "Allgemeinen Psychopathologie" zitiert, 1913 vom späteren Philosophen Karl Jaspers geschrieben, bekommt dies eine neue, medienkritische Qualität: der hier vorgeführte endlose Rekurs der Gedanken ist schon von einem spezialisierten Einzelnen schwer zu bewältigen, als maßlose Informationsmenge droht er die Gesellschaft zu überfordern.

Was hier in den analogen Materialien Skizze und Photographie, Text und Fundstück, Ölbild und Aufsteller, Schaukasten und überarbeitete Photoleinwand realisiert ist, entspricht in der heutigen Sprache der Computer einer Datenmenge mit Hyperlinks und Konfigurationsspur. Es ist evident, daß es so nicht mehr zu einem in klassischem Sinne fertig abgeschlossenem Werk kommen kann.

Auch was hier im Rathaus zu sehen ist, ist nur ein möglicher Zustand, eingefroren und hinter Glastüren als Angebot konserviert. Ohne Hemmungen muß der mündige Betrachter sich einen unvollständigen Teil herauspicken und ihn durch seine eigenen Gedanken ergänzen. Es liegt im Wesen der Kunst, daß dies nicht real, sondern nur in Gedanken geschehen kann. Aber ein frischer Gedanke: das ist nicht das Schlechteste, was man von einem doch oft frustrierenden Gang zu den Amtsstuben eines Rathauses zurückbringen kann.

Hajo Schiff

Literatur:

Kulturbehörde Hamburg (Hg.): Anna Oppermann, Pathosgeste - MGSMO - Installation im Altonaer Rathaus, Hamburg/Brüssel 1991

Standort: Rathaus Altona (Öffnungszeiten Mo-Fr 8-16 Uhr), im linken Teil des Eingangbereichs, Platz der Republik - Bahnhof Altona, Fern- und S-Bahn-Anschlüsse (S31/S1/S3)


[Allgemeines] [Neu] [Projekte] [Einzelwerke] [Mahnmale] [Index] [Standortplan] [Hamburg]