Ein riesiges, circa 10 x 6 Meter großes Historiengemälde im Goldrahmen stand am Rande des
Hamburger Hachmannplatzes, zwischen Hauptbahnhof und Deutschem Schauspielhaus, nur ein
Steinwurf von der Kunsthalle entfernt. Der französische Künstler Patrick Raynaud ließ
für "Lost Monument" das größte Gemälde der Kunsthalle, den 5,25 x 9,60 Meter messenden
"Einzug Kaiser Karl V. in Antwerpen" (Hans Makart, 1878), fotografieren und mit einem
speziellen Scannerchrome-Verfahren auf einen ebenso großen Leuchtkasten übertragen.
Der am Straßenrand plazierte Leuchtkasten war wie zum Schutz vor Transportschäden
bei solchen Monumentalgemälden üblich ringsrum mit einer gitterartigen Verschalung
versehen, die vor Stößen schützte, den Blick auf das Gemälde jedoch zuließ.
"Lost Monument" verwickelte an seinem Standort unterschiedliche Bereiche der Kultur:
Theater, Museum mit der bildenden Kunst in eine direkte Beziehung zum Verkehr, zum Reisen.
Das Thema "Kunstwerk auf Reisen" ist für Patrick Raynaud (geb. 1946) seit Jahren ein Hauptthema
und hat ihn mit seiner eigentümlichen Formsprache in den 80er Jahren international bekannt
gemacht. Er entdeckte den skulpturalen Charakter der Transportkisten und schuf aus ihnen
bereits eine Reihe spektakulärer Kunstwerke im öffentlichen Raum. In Lingen errichtete er
1992 seine "Wolken-Flug-Koffer", zwei 9 Meter hohe Flugkoffer aus Stahl, aus denen
Scheinwerferlicht in den Himmel strahlt. In Stuttgart und Ludwigsburg baute er
temporäre Pyramiden aus Transportkisten und -containern. Raynaud montiert beleuchtete
Reproduktionen in Rollerboxen und Flightcases, die dann als Stellvertreter-Objekte
die Originale zitieren, zugleich aber den heutigen Umgang mit der Kunst thematisieren.
Reproduktionen haben den Originalen den Rang abgelaufen, Kataloge werden wichtiger als
die Ausstellungen selbst. Das Schicksal vieler Kunstwerke ist heute vergleichbar mit
dem von Popstars. Populär und als Markenartikel auf dem unersättlichen Markt der Kultur,
gefragt wie Personen des Showbusiness sind sie ständig auf Tournee. Meisterwerke werden
von einem Kontinent zum anderen verschickt, Ausstellungen auf der ganzen Welt werden mit
den selben Bildern bestückt. Der Kunstboom der 80er Jahre führte dazu, daß wahrscheinlich
mehr bedeutende Kunstwerke als reine Spekulationsobjekte sicher in Spezialkisten verpackt
in Zolldepots und Speditionslagern dem Publikum vorenthalten, als in den Museen gezeigt
werden. Der Markt hat seine eigenen Regeln und verwandelt die Lager in riesige, geheime
und abgeschottete Kunstsammlungen für niemanden. Die Kunstwerke werden verkauft, bleiben
aber unausgepackt im Depot oder werden vielleicht in ein anderes weiterverschoben.
Ursprüngliche Kontexte der Kunst werden durch den Tourneebetrieb ignoriert,
die Geschwindigkeit und Vernetzung läßt natürliche Distanzen gegen Null schrumpfen.
Die Transportkiste wird zum "Raum für Kunst".
Das Gemälde "Einzug Kaiser Karl V. in Antwerpen" von Hans Makart ist das größte Gemälde
der Kunsthalle. Als Makart 1878 das 50 Quadratmeter große Monumentalspektakel in Wien malte,
jubelten seine Anhänger, während andere einen Skandal herbeischrien. Denn schöne
Wienerinnen standen Modell für die nackten Ehrenjungfrauen. Makart (1840-1884), der als
der große, gefeierte Malerfürst während der Gründerzeit in Wien eine regelrechte Makart-Mode
in Kleidung und Einrichtung auslöste, hatte die Präsentation seines Historienbildes
generalstabsmäßig vorbereitet. In Plakaten und Presseberichten wurde die bevorstehende
Fertigstellung vorab angekündigt, innerhalb weniger Tage bezahlten 34.000 Personen,
um das Gemälde zu besichtigen. Wie immer bei Makart, war das historische Thema primär
nur Vorwand für die schwelgerische malerische Inszenierung eines Kostümfestes der Massen
in mittelalterlichen Gewändern.
Der "Einzug Kaiser Karl V. in Antwerpen" war Höhepunkt und zugleich Anfang und Ende
einer Epoche. Der Philosoph Friedrich Nietzsche urteilte treffend: "Makart ist besonders
in einer Art Darstellung groß: in der üppigen Pracht und Fülle der Natur, aber jener Fülle,
bei der alles gar süß und überfließend ist, jenem prangenden Reichtum, der nicht mehr erfreut,
sondern übersättigt und dessen Anblick uns traurig stimmt. Es sind die Herrlichkeiten des
Hochsommers, die ordentlich überreif, am nächsten Tag zu verwelken drohen."
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