Ulrich Rückriem "Tempel" 1984 |
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Der "Tempel" von Ulrich Rückriem (geb. 1938) war Teil des Projektes "Skulpturen in Hamburg", das ortsbezogene Arbeiten des damaligen Professors an der Hochschule für bildende Künste an verschiedenen Plätzen der Stadt präsentierte. Es fand 1984 statt, ein Jahr nach Einweihung von Rückriems Monument für die Deportierten an der Moorweidenstraße. Drei Skulpturen befanden sich auf der Grünfläche der Moorweide. Ein Ensemble war in einem Ausstellungsraum der Kampnagelfabrik zu sehen und ein Skulpturenpaar im Treppenhaus der Kunsthalle. Der "Tempel" vor der Ruine der Nikolaikirche ist die einzige Arbeit des von Anfang an als temporär geplanten Projektes, die am Ausstellungsort erhalten geblieben ist. Auf der Moorweide waren die Skulpturen bis 1987 zu sehen. Vermutlich waren es ihr hoher Abstraktionsgrad und ihre Monumentalität, durch die sie damals für Teile der Bevölkerung schwer zu verstehen waren, denn es kam in den zweieinhalb Jahren ihrer Aufstellung mehrmals zu Beschädigungen und Verschmutzungen. Der Künstler selbst beschreibt die Entstehung des "Tempels" in schlichten Worten: "Ein Granitblock, horizontal in drei Teile gespalten. Der mittlere Block vertikal umlaufend in fünf Teile geschnitten. Das innere Kernstück geschliffen und poliert, herausgenommen. Alle anderen Teile zu ihrer ursprünglichen Form zusammengefügt, das untere Teilstück in die Erde eingelassen." Der Granitblock ist zwei Meter breit, anderthalb Meter tief und mißt insgesamt drei Meter Höhe, einschließlich des in den Boden gesenkten Stückes. Er steht auf einem Rasenstück, das von Sitzbänken gesäumt ist. Eine Heckenreihe ringsum schirmt die kleine, rechteckige Anlage von den Hochhausschluchten und dem tosenden Verkehr der Ost-West-Straße ab. Dem Stein ist, wie allen Arbeiten Ulrich Rückriems, seine Geschichte anzusehen: Die Rückfront, die der Nicolaikirche abgewendete Seite, hat eine geschlossene braune Kruste und lag offensichtlich an der Außenseite eines Felsens im Steinbruch. An den Seiten und an der Vorderfront sind die regelmäßigen Bohrlochreihen noch deutlicher zu sehen als an der Rückseite, Zeugen der Bearbeitung, der Abspaltung und Teilung. Eine rechteckiges Mittelfeld ist an der Vorderseite des Blockes, um eine Stufe vom Boden erhöht, auszumachen. Es erweckt Assoziationen an eine Tür und verstärkt den Eindruck vor einem Tempel zu stehen, der durch die an einen Zentralbau erinnernde fast viereckige Form des Blocks entsteht. Doch bleibt dies ein Spiel der Vorstellung. So auch bei einer weiteren "Tempel" benannten Arbeit auf der Moorweide. Im Mittelfeld bildete sich hier eine Vertiefung im Stein, deren Rückseite vollständig geschlossen war, auch diese 'Tür' verwehrte den Eintritt ins Innere. Die axiale Ausrichtung der Skulptur zur Nicolaikirche hin setzt sie in Beziehung zu der Ruine dieses realen 'Tempels'. Durch eine Abweichung der Stein wurde leicht zur Seite versetzt wird die Axialität nicht durchbrochen, sondern betont. Rückriems "Tempel" hat seinen Ort inmitten einer alltäglichen Großstadtszenerie. Im Gegensatz zu der eher unspektakulären Umgebung ist die Kirchenruine mit zeichenhafter Bedeutung aufgeladen. 1842 nach dem großen Brand von Hamburg errichtet, wurde sie im zweiten Weltkrieg zerstört und ist heute nur der Turm und Teile der Einfassung sind erhalten ein Denkmal eben dieser Zerstörung. Ihre Erscheinung erinnert zudem an das melancholische sich in gotischen Ruinen erfüllende Wunschbild der Romantik. Die Skulptur, darauf hat Dietrich Helms hingewiesen, antwortet auf das 'Übermenschliche' der Kirchenfragmente mit sinnlicher Faßbarkeit. Nur auf den ersten Blick ein hermetischer Block, lädt dieser "Tempel" zur kontemplativen Betrachtung ein. Als Granit-Widerpart zur Ruine aus Sandstein, läßt er sie in einem ganz anderen Licht erscheinen. |
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Julia Mummenhoff | |
Literatur: Kulturbehörde Hamburg (Hg.): Ulrich Rückriem. Skulpturen für Hamburg 1984, Hamburg 1984 Volker Plagemann (Hg.): Kunst im öffentlichen Raum, Köln 1989 Serpentine Gallery (Hg.): Ulrich Rückriem, London, 1991 Heinrich Ehrhardt (Hg.): Ulrich Rückriem. Arbeiten, Köln 1994 | |
Weitere Arbeiten: 1982 Teilnahme am Projekt "Halle 6" 1983 Monument für die Deportierten an der Moorweidenstraße |
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Standort: Standort: an der Nikolaikirche, Ecke Hopfenmarkt / Ost-West-Straße - U-Bahn-Linie U3, Station Rödingsmarkt |