Rémy Zaugg benennt mit großen weiß leuchtenden Neon-Lettern über die gesamte Länge der
Oberhafenbrücke was beim Blick in Richtung Brücke zu sehen ist. Die Begriffe bezeichnen
Dinge, die für Hamburg und besonders für diesen Ort am Rande des Freihafens charakteristisch
sind.
Installiert wurde diese Arbeit 1992 im Rahmen einer Ausstellung mit Werken des Schweizer
Konzeptkünstlers, die anläßlich des 175jährigen Bestehens des Kunstvereins in Hamburg in der
südlichen Deichtorhalle stattfand.
Aus gutem Grund entschloß sich der Kunstverein damals die Jubiläumsausstellung dem
Werk Rémy Zauggs zu widmen, ist doch das zentrale Thema seiner künstlerischen Arbeit
die Wahrnehmung. Zauggs Arbeiten sind eine Reflexion darüber, was Sehen bedeutet.
In seinen Untersuchungen zur Malerei geht es dem Künstler nicht um das Bild selbst,
sondern darum, was das Bild in der Wahrnehmung des Betrachters verursacht und was beim
Betrachten eines Bildes geschieht.
Schau, du bist blind" und "Stell dir vor, du hast es angeschaut und das Bild erblindet".
Mit diesen und ähnlichen Wortbildern sah sich der Ausstellungsbesucher in den Deichtorhallen
konfrontiert. Es sind Wörter, die aus der monochromen, fast weißen Farbigkeit der Bilder
erst bei genauem Hinsehen deutlich werden. Das Sehen wird so zu einem bewußten Vorgang und
ist ein dazugehöriger Teil des ausgestellten Werks. In einer Welt, die blind macht vom
Sehen, in der die Bilder und alles Sichtbare in der tagtäglichen Flut des Visuellen
verschwinden, stellt Zaugg (geb. 1943) unsere angeeigneten und verbrauchten
Wahrnehmungsmechanismen in Frage. Der Ausstellungsbesucher wird zur Überprüfung und
Sensibilisierung seiner Sehweise aufgefordert. Was passiert beim Betrachten eines Bildes?
Unsere Wahrnehmung und die visuelle Rezeption von Bildern sieht Zaugg als einen, jeweils nur
für den Moment fixierbaren Prozeß, der von verschiedenen Faktoren wie Zeit, Befindlichkeit
und Erfahrung beeinflußt wird. Dementsprechend verändert sich ein Bild im Kopf des Betrachters.
Ein Bild ist nie etwas Statisches, sondern immer als Objekt einer sich wandelnden
Wahrnehmung eingebunden in verschiedene Abläufe und Bedingungen.
In den Deichtorhallen war am Ende des Zauggschen Ausstellungsparcours, eigens zu diesem
Anlaß, in der Rückwand der Ausstellungshalle ein Fenster freigelegt worden, das den Blick
auf die Wortbilder an der Eisenbahnbrücke freigab. Beim Blick aus dem Fenster fokussierten
die in den belebten und verkehrsreichen Außenraum eingefügten Wörter den Blick. Dies
geschieht heute aus einer anderen Betrachterperspektive beim Sehen der Wortbilder ebenso
wie damals innerhalb der Ausstellung. Die Wirklichkeit erschien dem Ausstellungsbesucher
nun als ein weiteres Bild in einer Abfolge von Bildern, die einer ständigen Bewegung und
Veränderung wie an dieser Stelle dem Hin und Her der Züge auf der Brücke, dem Ziehen
der Wolken und dem Schwenken der Kräne unterworfen sind. Spätestens hier wurde dem
Besucher deutlich, daß ein Reflektieren über die Möglichkeiten und Bedingungen der
Wahrnehmung nicht an den Wänden musealer Präsentationsräume halt machen kann, sondern
sich in die Außenwelt fortsetzt. Das Verhältnis von Bild und Betrachter wurde um die
Beziehung von Abbild und Wirklichkeit erweitert.
Hier schloß sich der Kreis, indem nun die Wahrnehmung der realen Dingwelt außen in
seiner Konkretheit hinterfragt und konsequent vom Kunstraum in den öffentlichen Raum
übertragen wurde.
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