Astrid Klein
"Endzeitgefühle"
1986
1

Die großformatige, schwarz-weiße Fotoarbeit "Endzeitgefühle" (4,60 x 6,90 Meter) entstand ursprünglich für die internationale Ausstellung "Halle 6", die 1982 im Rahmen der 2. "Hamburger Woche der bildenden Kunst" auf Kampnagel stattfand. Astrid Klein hat zunächst die Stelle des Ausstellungsraumes, an der "Endzeitgefühle" dann auch zu sehen war, fotografiert: Eine beschädigte Mauer, ein schmaler Streifen Boden davor, in der Mitte eine vermauerte Tür. Vor diesem unspektakulären, alltäglichen Hintergrund durchkreuzen die Schattenbilder von sieben Hunden das Bild. Es handelt sich um die Mehrfach-Projektion einer einzigen Hunde-Silhouette, die Klein für eine, "Endzeitgefühle I" (1982) betitelte, erste Version der Arbeit verwendete. Keilförmig bricht die Hunde-Formation von einem unbestimmten Ort aus auf einen Punkt rechts außerhalb des Bildes zu. Die Tiere wirken wie Furien, die in einer von Menschen verlassenen Welt einem unbestimmten Ort entgegenrasen. Mit diesen Schattenwesen, der Unbestimmbarkeit ihrer Herkunft und ihres Ziels schafft die Künstlerin eine eigene apokalyptische Ikonographie, die nur teilweise auf Bekanntem beruht: Dürer hat 1512 in seiner Holzschnittfolge zur Apokalypse den Eindruck des 'Darüberhinwegrasens' der göttlichen Strafen geschaffen und damit deren furchtbare Unausweichlichkeit betont.

Erst 1986, nachdem die Arbeit auf internationalen Ausstellungen, unter anderem "Von hier aus" in Düsseldorf, gezeigt wurde, fand sie ­ in Abstimmung mit der Künstlerin ­ ihren heutigen Standort in der U-Bahn-Station Hauptbahnhof-Nord der Linie U2, am Ausgang Richtung Hamburger Kunsthalle. Von ankommenden und abfahrenden Zügen umtost, ist sie an einem leicht erhöhten Metallrahmen zwischen den Gleisen angebracht. Damit die Arbeit von beiden Treppenaufgängen und beiden Seiten des Bahnsteigs zu sehen ist, wurde sie dupliziert.

Astrid Klein (geb. 1951) folgt, wie Barbara Straka bemerkt, einer Künstlergeneration, die in den 60er und 70er Jahren den "massenmedialen Realismus" in der Fotografie problematisierte. Eine Realität des Grauenhaften und Entsetzlichen ­ Reportagen über den Krieg in Vietnam zeigten es ­ läßt sich nicht authentisch und objektiv wiedergeben. In den 80er Jahren kennzeichnet eine verstärkt endzeitliche Terminologie den politischen Diskurs, die sich in der apokalyptischen Formenwelt von Astrid Klein widerspiegelt. Sie versucht erst gar nicht eine oberflächliche Realitätswiedergabe, sondern zielt, diese verfremdend, direkt auf die Emotionen der Betrachter. Schichtweise geben die durch Überblendung und Montage von Negativen entstandenen Großfotos einen Einblick in unterbewußte oder verdrängte geistige Strukturen. Mit der Verwendung experimenteller fotografischer Techniken wie Foto(negativ)montage, Doppelbelichtung, Übereinanderkopieren von Negativen, Rasterung, Fotozeichnung, Ätzung und einmontieren von Papierschnitten in den fotografischen Abzug knüpft Klein an die avantgardistischen Methoden der Fotografie der 20er und 30er Jahre an.

Astrid Klein selbst hat "Endzeitgefühle" als Schlüsselbild bezeichnet. Vor den ersten fotografischen Installationen schuf Klein sehr persönliche Zeichnungen und Collagen in Verbindung mit eigenen Texten, deren entlarvende Wirkung in der Konfrontation der Worte mit fotografischen Bildzitaten lag. Die Schockwirkung der ersten großformatigen Fotoarbeiten beruht auf realen, der Tagespresse und der Tagespolitik entnommenen Bildzitaten. "Endzeitgefühle" markiert insofern eine Wende, als hier die Künstlerin zum ersten Mal ihre Aussage in zeitlose visuelle Chiffren faßt, die sich aus der Mythologie speisen. Es vollzieht sich außerdem eine Wende vom Bildlich-Faßbaren ins Unheimlich-Unfaßbare. Ulrich Loock hat das "Vergehen bildmäßiger Anschaulichkeit" als das bezeichnet, was den Schrecken der "Endzeitgefühle" ausmacht. Dieses Versagen der Anschaulichkeit ist zugleich eine Negation des Bildes. Haltlos wird das sehende Auge in das Geschehen des Schreckens hineingerissen.

Julia Mummenhoff


Literatur:

Kulturbehörde Hamburg (Hg.): Halle 6, Hamburg 1982

Haenlein, Carl (Hg.): Astrid Klein. Photoarbeiten 1984 - 1989, Kestner Gesellschaft Hannover, Hannover 1989

Ernst G. Güse; Ernest W. Uthemann (Hg.): Astrid Klein, Stuttgart 1994




Standort:
Hauptbahnhof, Station Hauptbahnhof-Nord der U-Bahn-Linie U2, zwischen den Gleisen, Eingang Glockengießerwall, Hamburger Kunsthalle

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