Ulrich Rückriem
Monument für die Deportierten an der Moorweidenstraße
1983
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Der über vier Meter hohe, zwei Meter breite und siebzig Zentimeter tiefe Granitblock erhebt sich auf der dreieckigen Rasenfläche zwischen der Moorweidenstraße und der Edmund-Siemers-Allee. Hier - vor dem Gebäude der Provinzialloge und neben dem Hauptgebäude der Universität - mußten sich 1941/42 tausende jüdischer Hamburger Frauen, Männer und Kinder zur Deportation in die Vernichtungs- und Todeslager versammeln. Pläne zur Errichtung eines Gedenksteines an diesem Ort waren Anfang der 80er Jahre von privaten und politischen Initiativen und der jüdischen Gemeinde ins Gespräch gebracht worden. 1982 betraute die Kulturbehörde Ulrich Rückriem (geb. 1938), damals Professor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, mit der Ausführung eines Denkmals. Im Januar 1983 wurde es eingeweiht. Rückriem führte das Projekt in einer für ihn charakteristischen Arbeitsweise durch. Seit 1968 hatte der Künstler sein Prinzip der Stein-Teilungen entwickelt. Einen 35 Tonnen schweren Block aus finnischem Granit, einem seiner bevorzugten Arbeitsmaterialien, teilte Rückriem in sieben rechteckige Einzelteile: drei Grundsteine, drei Säulen und einen Dachstein. Anschießend fügte er die Teile wieder zusammen. Feine, senkrecht und waagerecht verlaufende Teilungslinien verraten, daß es sich um ein wieder zusammengesetztes, ehemaliges Ganzes handelt. Die Löcher in regelmäßigen Abständen entlang dieser Linien und die Kerben an den Außenkanten der Skulptur sind Spuren des Meißels, der in den Stein getrieben wurde, um die Teile abzustalten.

Ulrich Rückriem hat die sieben Einzelblöcke so bemessen, daß die Kantenlängen durch die Zahl sieben teilbar sind, einer im Judentum bedeutsamen Zahl (allerdings keiner "heiligen" Zahl, wie in diesem Zusammenhang oft geschrieben wurde). In seiner Gesamterscheinung soll der Granitblock Assoziationen an die Klagemauer in Jerusalem wecken.

Trotz solcher Bezüge entspricht die grundsätzliche künstlerische Haltung Rückriems, der von Minimal- und Konzeptkünstlern wie Donald Judd und Sol LeWitt in den 60er Jahren entwickelten: Die Skulpturen sind Objekte an sich, sie repräsentieren nichts. Rückriem erweitert diesen Ansatz, indem er die Präsenz, die Objekthaftigkeit des Steins an sich herausarbeitet, der sich damit der Funktionsgebundenheit eines Denkmals in gewisser Weise entzieht.

Entsprechend trägt der Granitblock keine erklärende Inschrift. Mit rauher, unbearbeiteter Oberfläche und den sichtbaren Spuren der Bearbeitung spricht der Stein von sich selbst. Für Arie Goral-Sternheim war aber gerade dies Symbol für "das unbeschreibbare, unsagbare und nicht durch dekoratives Beiwerk zu symbolisierende Geschehen".

Etwas entfernt von der Skulptur ließ die Kulturbehörde eine Tafel aufstellen, deren in Abstimmung mit der jüdischen Gemeinde entstandener Text lautet: "Dem Gedenken an die jüdischen Bürger Hamburgs, die in den Tagen der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu Tausenden von diesem Platz in den Tod geschickt wurden. Vergeßt es nicht, seid wachsam." Sie verhinderte jedoch nicht, daß die Sprachlosigkeit und abstrakte Form des Denkmals teilweise auf Kritik stieß.

Ulrich Rückriem hat die gesamte, dreieckige Fläche des "Platzes der Deportierten" als Monument verstanden. Nicht zur ursprünglichen Konzeption gehören aber die jeweils an den Ecken der Rasenfläche befindlichen zusätzlichen Inschriftentafeln. Diese wurden 1989 ­ anläßlich der offiziellen Namensgebung "Platz der Deportierten" ­ im Rahmen des sogenannten "Schwarze Tafeln"-Programms aufgestellt, mit denen die Stadt auf Orte der nationalsozialistischen Greultaten erläuternd erinnert.

Julia Mummenhoff


Literatur:

Volker Plagemann: "Vaterstadt, Vaterland; schütz dich Gott mit starker Hand" - Denkmäler in Hamburg, Hamburg 1986

Volker Plagemann (Hg.): Kunst im öffentlichen Raum, Köln 1989

Serpentine Gallery (Hg.): Ulrich Rückriem, London 1991

Heinrich Ehrhardt (Hg.): Ulrich Rückriem. Arbeiten, Köln 1994


Weitere Arbeiten:

1982 Teilnahme am Projekt "Halle 6"
1984 "Tempel"




Standort:
Platz der Deportierten, Grünfläche zwischen Edmund-Siemers-Allee und Moorweidenstraße - Nähe Bahnhof Dammtor, Fern- und S-Bahn-Anschlüsse (S21/S31)

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