Felix Droese "Boot" 1985 |
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Schiffe und Boote gehören zum Hamburger Stadtbild. Aber sie kommen normalerweise nicht auf den Friedhof. Ein Rettungsboot kieloben auf einem Feld für anonyme Urnenbestattung ist etwas Ungewöhnliches. Ein originales, schwimmfähiges Aluminiumboot eines unter der Flagge von Panama gefahrenen deutschen Seefrachters bündelt auf dem Neuen Friedhof Finkenwerder die Konzentration und bietet den Ort für Kränze. Seit Menschengedenken ist das Schiff neben seiner realen Funktion der Fahrt ans andere Ufer auch das symbolische Gefährt metaphysischer Transgressionen: Der Fährmann Charon setzt die Toten über den Styx in den Hades. Das Christentum benutzt Schiffsallegorien von der Arche Noah bis zum Petrus-Nachen und Kirchenvater Ambrosius schwärmt in nautischen Metaphern: "Glückhafte Fahrt haben die Menschen, die in ihren Schiffen das Kreuz Christi wie einen Mast umfassen ... Sie lassen ihr Schiff nicht irrend einherfahren auf den Fluten des Meeres, sondern eilen heim in den Hafen des Heils, mit dem Kurs auf die Vollendung der Gnade." Am kürzesten bringt es das Seenot-Funksignal SOS auf den Punkt: "Save our Souls". Ein Rettungsboot ist so, egal ob an Bord verzurrt oder auf der grünen Wiese, sofort selbstverständliches Potential: Es garantiert zumindest eine Chance zum Überleben. Ob dieses hier je benutzt wurde und seinen Auftrag schon einmal erfüllt hat, wissen wir nicht, ob es einst funktionieren wird, bleibt Glaubenssache. Sicher ist, der Künstler hat das Rettungsboot (circa 6 x 2 x 1 Meter) selbst vor dem Ende auf der Abwrackwerft gerettet. Und so dient das Alltags-Fundstück mit dem poetisch-musikalischen Taufnamen "Viola" auf dem Friedhof nun der überkonfessionell-religiösen Symbolik. Zu der Schlüssigkeit der künstlerischen Setzung kommt noch der passende biographische Hintergrund von Felix Droese: Als Sohn eines Pfarrers ist er auf Hallig Nordstrand altkatholisch aufgewachsen und vier Jahre hat er bei einem Landschafts- und Friedhofsgärtner als Aushilfe gearbeitet. Bei soviel harmonischen, geradezu überevidenten Bezügen ist aber nicht außer Acht zu lassen, daß Felix Droese, 1950 geboren, ein hochgradig politisierter Künstler ist. Er ist einer der wenigen aus der legendären Düsseldorfer Beuys-Klasse, der sich weiterhin im Widerspruchsfeld von Kunst und Antikunst bewegt und den politischen Anspruch nie aufgegeben hat. 1988 verwandelt er den deutschen Pavillon der Biennale di Venezia zum "Haus der Waffenlosigkeit", die Hamburger Kunsthalle besitzt seine große, schwarze Scherenschnitt-Installation "Ich habe Anne Frank umgebracht" von 1981. Das idyllisch plazierte Boot auf grünem Rasen sollte also nicht zu leicht genommen werden. "Ich kenne nichts, das die Idee von menschlicher Freiheit besser trägt, als Kunst", sagt Felix Droese, ein Satz, der angesichts eines Feldes menschlicher Asche auch als ein säkularisiertes Angebot diesseitiger Sinnsetzung zu verstehen wäre. Doch sieht man vom Kontext des Totenkultes einmal ab, werden noch ganz andere bedrohte Hoffnungen sichtbar, denen da ein Rettungsboot angeboten wird. Felix Droese betont immer wieder: "Man muß die Kunst nutzen, um die großen Fragen der Menschheit im gesellschaftlichen Leben zu lösen". Genau das hat einen Stadtteil weiter Joseph Beuys mit dem Projekt "Gesamtkunstwerk Freie- und Hansestadt Hamburg" für die Spülfelder in Altenwerder geplant. Aber dieses Projekt wurde im gleichen Jahr 1984 verworfen, in dem nun der einstige Schüler und Kollege des Klever Meisters den Auftrag für die Friedhofskunst erhielt. Felix Droese war diese Gleichzeitigkeit durchaus bewußt, er hat sie mit resignativem Groll reflektiert. Und so wird der Seelenkahn auch zum politischen Hoffnungsträger der alten Fischerdörfer an der südlichen Elbe, die sich von der verheerenden Flutkatastrophe von 1962 noch erholt hatten, die aber vom endgültig vernichtenden Zugriff der gefräßigen Erweiterung der Hafenindustrie hinweggepült zu werden drohen. |
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Hajo Schiff | |
Literatur: Raum für Kunst Hamburg (Hg.): Felix Droese. Vier Hamburger Stücke, Hamburg 1986 Volker Plagemann (Hg.): Kunst im öffentlichen Raum, Köln 1989 Michael Schwarz: Felix Droese. Ich habe Anne Frank umgebracht. Ein Aufstand der Zeichen, Frankfurt/M. 1988 Dierk Stemmler (Hg.): Felix Droese. Haus der Waffenlosigkeit. Bundesrepublik Deutschland, Düsseldorf 1988 Kunsthalle Rostock (Hg.): Felix Droese - Die 2. Natur, Rostock 1993 Weitere Arbeiten: 1982 Teilnahme am Projekt "Halle 6" 1998 "Sicherheitsschrank", Teilnahme am Projekt "Jenisch-Park Skulptur" |
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Standort: Neuer Friedhof Finkenwerder am Finkenwerder Landscheideweg, die Arbeit befindet sich auf dem Feld für anonyme Bestattungen in der Nähe des Hauptweges - Anfahrt: Buslinie 150, Richtung Cranz, Station Emder Straße; Schiffslinie 62, St. Pauli Landungsbrücken - Finkenwerder; mit dem Auto: Autobahn A7, Abfahrt Hamburg-Waltershof, Richtung Finkenwerder |