Jochen Gerz & Esther Shalev-Gerz "Harburger Mahnmal gegen Faschismus" 1986 |
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Acht Jahre hat es die Harburger genervt und die internationale Denkmals-Diskussion weit über Europa hinaus belebt: das "Mahnmahl gegen Faschismus". Seit dem 10. November 1993 ist es getreu dem Konzept der Künstler Esther Shalev-Gerz (geb. 1948) und Jochen Gerz (geb. 1940) endgültig im Boden versunken. Es sollte nur ein Denkanstoß auf Zeit sein und sich im Erinnern abstrahieren, statt als hoheitlich verordnetes Alibi zu dienen und durch Gewöhnung langsam unkenntlich zu werden. "Wir laden die Bürger von Harburg und die Besucher der Stadt ein, ihren Namen hier unseren eigenen anzufügen. Es soll uns verpflichten, wachsam zu sein und zu bleiben. Je mehr Unterschriften der zwölf Meter hohe Stab aus Blei trägt, um so mehr von ihm wird in den Boden eingelassen. Solange, bis er nach unbestimmter Zeit restlos versenkt und die Stelle des Harburger Mahnmals gegen den Faschismus leer sein wird. Denn nichts kann auf Dauer an unserer Stelle sich gegen das Unrecht erheben". Das war das Konzept und diese Worte in sieben Sprachen sind das, was am Ort verblieben ist. 1986 am Harburger Ring in der Nähe des Rathauses auf einer Art Backsteinkanzel zwischen Hauptstraße und U-Bahn-Zugang zentral aufgebaut, wurde die Bleisäule mit der Grundfläche von einem Quadratmeter in acht Schritten abgesenkt, bis von ihr oben nur noch eine abschließende Bleiplatte und unten ein schmales Fenster in einer Tür zum Blick aus der Fußgängerunterführung auf den im Schacht verborgenen Körper übrigblieb. Versteckt wie die ungern erinnerte Geschichte, wie Deutschland in diesem Jahrhundert seine Völkermorde durchgeführt hat, verborgen wie der untergründige Haß freundlicher Rentner auf diese ihrer unbeirrbaren Überzeugung nach sinnlose und scheußliche und zu teure moderne Kunst und doch durch die erklärenden Tafeln weiterhin so klar sichtbar wie es bei Kommunalwahlen die zeitweilig über 20-prozentige Zustimmung zu neuen rechtsradikalen Gruppierungen in einigen Harburger Bezirken wurde. "Der Schornstein ist schon gut, er müßte nur noch rauchen" wurde dem Künstler schon kurz nach der Einweihung gesagt, seitdem folgten an die sechzigtausend belegbare Kontakte mit dem Objekt. Denn das Konzept funktionierte, die Bleioberfläche wurde ausgiebig benutzt in positivem wie negativem Sinne. Zu den Unterzeichnernamen kamen Sprüche und Zitate, Ausländerfeindliches und Hakenkreuze wurden manifest und mit "Nazis raus" überschrieben, Filzstiftschmierereien und Sprüh-Tags, Ein- und Auskratzungen bis zur nackten Gewalt, mit der ein Loch in die ummantelnden Bleiplatten gerissen wurde. Durch die regelmäßigen Absenkungen, durch Veranstaltungen und Diskussionen konnte das Mahnmal sein Anliegen immer wieder ins Gespräch bringen und erlangte so für seine aktive Lebensdauer eine hohe Präsens. Die extremste Reaktion war, daß auf die Anlage sogar geschossen wurde. Für das Harburger Mahnmal in seiner offenen und den Denkmalsbegriff auch im internationalen Vergleich mit neuem Sinn erfüllenden Konzeption und das noch abstraktere Erinnerungsmal im Schloßhof von Saarbrücken, bei dem die Unterseiten der Steine mit den Namen jüdischer Friedhöfe beschrieben wurden, erhielt Jochen Gerz den 1990 erstmals verliehenen Bremer Roland-Preis für "Kunst im öffentlichen Raum". Dort entwickelte der Künstler dann mit der "Bremer Befragung" ein Kunstprojekt, das ganz folgerichtig nur noch mit der bloßen Idee eines geplanten Kunstwerks auf das Gespräch mit dem Bürger setzte. Kunst kann nur anregen, vom Denken und Fühlen der Menschen selbst hängt das wirkliche Leben ab. Trotz seiner so ganz anderen Form ähnelt das Harburger Mahnmal mit seiner Betonung des Dialogs dem fast zeitgleich in Niendorf-Nord installierten "Tisch mit zwölf Stühlen" von Thomas Schütte. Aber Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz gehen noch weiter: Sie mißtrauen allen definitiven Ausformungen in Bild, Objekt und Sprache und verstehen sich eher als Initiatoren von Prozessen. Sie wollen auch als künstlerische Fachleute keine Stellvertreterschaft für das Gedenken formen und spiegeln deshalb ihren Auftrag zurück an die Auftraggeber, an die hinter den Institutionen stehenden Bürger. Am Ende bleibt, von keinem sichtbaren Artefakt mehr gestützt, bloß der grundlegende Satz: "Nichts kann auf Dauer an unserer Stelle sich gegen das Unrecht erheben." |
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Hajo Schiff |
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Literatur: Achim Könneke (Hg.): Jochen Gerz & Esther Shalev-Gerz. Das Harburger Mahnmal gegen Faschismus, Ostfildern-Ruit bei Stuttgart 1994 (dt./engl.) Volker Plagemann (Hg.): Kunst im öffentlichen Raum, Köln 1989 Die Vergangenheit bringt sich in Erinnerung - Eine Diskussion über das Saarbrücker Mahnmal gegen Rassismus, Saarbrücker Hefte, Nr. 67, 1992 Stadtverband Saarbrücken; Regionalgeschichtliches Museum (Hg.): Jochen Gerz. 2146 Steine. Mahnmal gegen Rassismus, Saarbrücken/Stuttgart 1993 Peter Friese (Hg.): Jochen Gerz. Die Bremer Befragung, Ostfildern-Ruit bei Stuttgart 1995 Weitere Arbeiten: 1993 Jochen Gerz, "Hierophanie", Teilnahme am Projekt "Stadtfahrt" 1995 Jochen Gerz, "Hierophanien #2", Teilnahme am Projekt "Infrasound" |
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Standort: Hamburg-Harburg, Ecke Harburger Ring / Hölertwiete / Sand - S-Bahn-Linie S3, Station Harburg Rathaus |