Thomas Schütte
Gedenkhaus KZ Neuengamme
1995
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Die Verlegung der historischen Ausstellung machte 1995 das Dokumentenhaus im ehemaligen KZ Neuengamme frei für einen seit langem gewünschten, ruhigen Gedenkraum. In kurzer Zeit veränderte der Düsseldorfer Künstler Thomas Schütte, 1954 in Oldenburg geboren, das 1981 fertiggestellte Gebäude grundlegend. In Zusammenarbeit mit Gerhard Scharf als einem der damaligen Architekten wurde es weitestgehend auf seine plastische Grundstruktur entkernt. Roher Beton und ein mehrschichtiges, lasiertes Rot für die Wände schaffen nun einen je nach Lichteinfall unterschiedlich leuchtenden Zentralraum, der schon für sich konzentrierend wirkt. Feuer oder Blut sind mögliche, aber nicht zwingende Assoziationen. Auf den Wänden der Galerie hängen rohbelassene Stoffbahnen mit nach Datum sortierten Namen der Opfer. Da nur circa 40% der über 20.000 Namen an den Wänden Platz fanden und zudem viele von der Forschung noch nicht erfaßt sind, lagern unter dem Motto "Wir denken an die Unbekannten" in einem Extraraum noch zahlreiche leerbelassene Rollen.

Doch nach fünfzig Jahren muß neben der Würdigung der Opfer auch an die Art des eigenen Erinnerns erinnert werden. Thomas Schütte ließ deshalb als wortlosen Kommentar in die Mitte des Raumes zwei Modelle der KZ-Gesamtanlage stellen: die nach 1945 von den Tätern in englischer Gefangenschaft penibel gebastelte Übersicht und ein modernes Architekturmodell des Zustandes von heute mit seinen immer noch dort integrierten beiden Justizvollzugsanstalten.

Die die Vernichtung strukturierende Bürokratie ist in einem rohbelassenem Seitenraum mit den original erhaltenen Totenbüchern des Konzentrationslagers in Pultvitrinen dokumentiert. Von diesen geht der Blick durch die schmalen Fenster auf den umgebenden Rasen, auf den einst die Asche der Toten als Dünger für die KZ-Gärtnerei gestreut wurde. Hier hat Thomas Schütte einige Scheinzypressen pflanzen lassen, um dem Ort etwas mehr Friedhofscharakter zu geben.

Warum hat der mehrmalige documenta-Teilnehmer diesen Auftrag angenommen? "Man macht als Künstler ja nur, was nicht geht, alles andere interessiert nicht. Ich selbst bin aus den fünfziger Jahren und da hat man die Pflicht, sein bestes zu tun im Umgang mit der Geschichte. Und ich hatte die Möglichkeit, etwas anderes zu realisieren, als ein Einschüchterungsdenkmal wie Buchenwald oder gar ein gigantisches 'Führergrabmal', zu dem das in Berlin geplante Holocaust-Denkmal zu werden droht."

Jenseits von Pflichtübungen ist der Umgang mit der Erinnerung an ein Grauen, das so viele typisch deutsche Züge trägt, nach wie vor keine leichte Aufgabe. Geradezu Sühnearbeit leistete der Grafiker Ahne Petersen, der die Tausende von Namen auf die Fahnen brachte. Daß alle diese Buchstabenkombinationen ausgelöschte Menschenleben bedeuteten, mußte er im Interesse der Arbeit immer wieder schmerzhaft verdrängen.

"Viele werden hier das Sprachliche vermissen, aber wir haben versucht, unverstellt durch Sprache oder Symbole, ohne Zitate zu arbeiten. Diese Sachen sieht man in jeder Gedenkstätte, und sie sind leider nicht hilfreich", sagt Thomas Schütte. "Was dieses staatliche Verbrechen betrifft, wird mir übel angesichts der Gnadenlosigkeit, die ja nun allerdings ganz deutsch ist. Gefühllosigkeit aber kann man bekämpfen, auch anders als durch Pädagogik und Pathosformeln. ... In diesem Haus wurden nur die Farben Schwarz und Rot und Beton eingesetzt, einige Tatsachen vorgeführt und einige Ordnungsprinzipien durchgespielt: Reihung, Listen, Häufung, Symmetrie, Spiegelung etc. und zwar so klar wie möglich und sakral zugleich. Ich glaube, medial läßt sich das nicht vermitteln, sondern nur in unmittelbarem Erleben. ... Der Architekt Gerhard Scharf, der das Haus gebaut hat und jetzt wesentlich mithalf, es umzustrukturieren, sprach immer davon, daß man in diesem Zentralbau eigentlich seinen eigenen Herzschlag hören müßte."

Hajo Schiff


Informationen zu der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bietet die Website www.hamburg.de/Neuengamme.



Literatur:

Achim Könneke (Hg.): Haus des Gedenkens nach einem Konzept von Thomas Schütte, Hamburg 1996

Thomas Schütte: Skizzen und Geschichten 1990 - 1995, Düsseldorf 1995


Weitere Arbeiten:

1982 Teilnahme am Projekt "Halle 6"
1986 "Tor", Teilnahme am Projekt "Jenisch-Park Skulptur"
1987 "Tisch mit 12 Stühlen"




Standort:
Neuengamme, KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Jean-Dolidier-Weg - S-Bahn-Linie S21, Station Bergedorf, von dort mit dem Bus 227 bis "KZ-Gedenkstätte"; mit dem Auto: Autobahn A25, Richtung Geestacht, Abfahrt Curslack, ausgeschildert


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