Sabine Siegfried
"Längsachse"
1989
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Sabine Siegfried hat für das "Hamburg Projekt 1989" im direktesten Sinn 'Kontext-Kunst' realisiert. Ein geometrisches Element aus dem Eisengeländer der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erbauten Bleichenbrücke ist von der Brücke aus sichtbar zwischen zwei Figuren auf das Dach der Baubehörde gestellt. Der Nachguß ist auf einen Durchmessser von 1,70 Meter vergrößert. Der Blick von der Brücke zur Baubehörde ist als eine Art Bühnensituation gedacht, eine 'Projektion' anderer 'Kontexte' in das architektonische Ambiente. Die Kanalsituation fordert ohnehin Assoziationen an andere Städte heraus, die von Kanälen bestimmt sind wie Venedig oder Amsterdam.

Die beiden, anstelle der ursprünglich geplanten Jugendstilfiguren aufgestellten Skulpturen stammen vermutlich aus der Nazizeit, als das Gebäude als Hamburger Hauptquartier der Gestapo genutzt wurde. Über die genaue Enstehungszeit und den Bildhauer der Figuren liegen in den Hamburger Stadtarchiven keine Unterlagen vor. Da aus der Ferne kaum zu erkennen ist, daß es sich um Skulpturen handelt, gab es früher ­ ähnlich wie bei Stephan Balkenhols Figuren auf der Elbe ­ mitunter besorgte Anrufe bei der Polizei. Passanten hielten die Figuren für Selbstmordkandidaten. Seitdem das Geländerelement dazwischensteht, scheinen solche Verwechslungen ausgeräumt.

Doch bei dieser Versetzung innerhalb des unmittelbaren architektonischen Kontextes hat es Sabine Siegfried (geb. 1955) nicht belassen. Die Künstlerin bezieht das sternförmige Okatagon des Geländerelements auf Stadtgrundrisse, die perspektivisch um ein Machtzentrum, zum Beispiel eine Residenz, angeordnet sind. So entspricht die Form des Geländerelements ziemlich genau dem Grundriß der utopischen Stadt Sforzinda, die der Architekt Filarete 1461 im Auftrag des Mailänder Fürsten in Mailand entwarf. Filaretes Stadtplanung fand zwar seinerzeit keine Realisation, wurde aber später Bezugspunkt der Planung barocker Residenzstädte in Deutschland wie Mannheim, Karlsruhe oder Mainz.

Als die Künstlerin 1989 zu einer Gruppenausstellung in Edinburgh eingeladen worden war, entwickelte sie die Idee der Projektion von Filaretes Oktagon auf den Stadtplan von Edinburgh. Auf dieser Grundlage sollte eine Stadtrundfahrt stattfinden, die die Teilnehmer scheinbar durch Sforzinda führen sollte. Diese Fahrt konnte aus Termingründen nicht realisiert werden.

So wurde die Idee weiterentwickelt in dem Projekt "Stadtfahrt", das Sabine Siegfried zusammen mit der Kunsthistorikerin Eva Bothe vom 21. bis 27. September 1993 in Hamburg durchführte. Sieben Busfahrten fanden unter der Leitung von sieben verschiedenen Künstlern statt. Die Idee der Projektion eines Stadtplanes auf einen anderen war hier bezogen auf die Theorie des Dérive, des Umherschweifens, die der theoretische Kopf der Situationistischen Bewegung, Guy Debord, um 1960 beschrieben hat.

Sabine Siegfried ist mitverantwortlich für den Ausstellungsbetrieb im Westwerk, Hamburg. 1994 gründete sie zusammen mit Christoph Willumeit das "Büro Archipel" als "Marktplatz zum interdisziplinären Austausch zugunsten von Ideen, Projekten, wissenschaftlichen Arbeiten mit künstlerischen Mitteln."

Ludwig Seyfarth


Literatur:

Kulturbehörde Hamburg (Hg.): Hamburg Projekt 1989, Hamburg 1989

Sabine Siegfried (Hg.): Archipel Reisen. Eine Anthologie des imaginären Reisens, Hamburg 1996


Weitere Arbeiten:

1993 "Stadtfahrt" , Konzeption/Organisation




Standort:
auf dem Dach der Baubehörde, Stadthausbrücke Nr. 8, von der Bleichenbrücke aus einsehbar - S-Bahn-Linien S1/S3, Station Stadthausbrücke; U-Bahn-Linie U3, Station Rödingsmarkt


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