Gerd Stange
Nachdenkmal "Schützengraben - Soldatengrab"
1997

21

1

Ein Nachdenkmal zum Kriegerdenkmal in Groß Borstel von 1922

Mit Nachdenkmal "Schützengraben - Soldatengrab" hat Gerd Stange die jahrzehntelange Auseinandersetzung um ein Kriegerdenkmal in Groß Borstel aufgegriffen. Das 1922 auf einem Grabhügel aus der Bronzezeit durch den Kommunalverein Groß Borstel errichtete Denkmal besteht aus einem Ziegelsteinquader mit Gedenktafel auf dem ein Adler auf einer halben Kanonenkugel thront. Die Inschrift lautet "Niemand hat grössere Liebe denn die dass er sein Leben lässet für seine Freunde". Erbauer ist Richard Kuöhl, der u.a. 1936 das umstrittene "76er Denkmal" an der Dammtorstraße schuf. Am Fuß des Hügels befindet sich das Nachdenkmal von Stange. Es ist eine begehbare unterirdische Installation: ein Graben, circa einen Meter breit und zwei Meter hoch, mit Gitterrost abgedeckt und mit Stacheldrahtrollen 'gesichert'. Ein in die Seitenwand eingelassenes Periskop gibt den Blick auf den Adler frei.


Text aus der Publikation "Gerd Stange. Weitergraben. Graben als künstlerische Strategie

Wenn man nach dem überzeugenden Denkmal für die Toten des Ersten Weltkrieges fragt, wird man zweifellos an das in Güstrow denken. Ernst Barlach hat es geschaffen und in ihm als lebensspendende und lebensschützende Mutter Käthe Kollwitz porträtiert. Als ihr Sohn Peter 1914 in den Krieg gezogen war, hatte sie die Heroisierung des sogenannten Opferganges begeistert akzeptiert. "So sind sie nun auch wirklich eingesegnet zu ihrem Opfer", hatte sie ihrem Tagebuch anvertraut. Erst als das Kind genommen war, erfaßte sie ganz die brutale Unsinnigkeit und Hohlheit des Trostes für den nicht wieder gut zu machenden und durch das sog. Opfer nicht gerechtfertigten Massentod der Jungen. Die Blasphemie mutete dagegen wie beinahe in jedem Dorf erfolgte kaiserliche Staatspropaganda "Schafft Heldenhaine!" Durch Denkmäler dieser Art sollte der antike Mythos von der Süße und Lieblichkeit des Sterbens für das Vaterland sogleich die nächste Generation für den Opfertod im Krieg bereit zu machen.

Gerd Stange versteht die Geschichtlichkeit bestehender Denkmäler und greift sie nicht an. Er empfindet aber die Notwendigkeit eines Kommentars in unmittelbarer Nachbarschaft, indem er versucht, die schreckliche Wirklichkeit des Todes im Schützengraben der pathetischen Heroisierung gegenüber zu stellen. Er plädiert im Sinne der Toten, die ja in Wahrheit durch Vorgaukelung eines süßen Opfertodes um ihr Leben betrogen wurden. In seinen Kunstwerken wird Gerd Stange zum Anwalt der durch staatliche Oppression ihres Lebens, ihrer Freiheit, ihrer geistigen und körperlichen Unversehrtheit beraubten Menschen. Angesichts der unsinnigsten und grausigsten Kriege, der Verführung junger Menschen zu unmenschlichen Taten durch vergebliche religiöse und andere Ideale, erkennt Stange einen neuen Auftrag für sich, gegen Vorurteile und bequemen Behaviorismus anzukämpfen und das Vergangenheitsverständnis durch Ansichten in die Wirklichkeit zu vertreiben.

Prof. Dr. Jörgen Bracker (Museum für Hamburgische Geschichte)



Literatur:

Museum für Hamburgische Geschichte (Hg.): Gerd Stange. Weitergraben. Graben als künstlerische Strategie, Hamburg 1996

Weitere Arbeiten:

1990 "Verhörzelle"
1995 Subbühne, in Zusammenarbeit mit Michael Batz
1996 "Rhythmische Babylonische Wasserskulptur", in Zusammenarbeit mit Michael Batz

Standort: Groß Borstel, Am Licentiatenberg, am Kriegerdenkmal

[Allgemeines] [Neu] [Projekte] [Einzelwerke] [Mahnmale] [Index] [Standortplan] [Hamburg]