Christian Philipp Müller
Die Konstruktion Hamburger Kunstmeile "Was nahe liegt ist doch so fern"
1997

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Ein Projekt von "Kunst im öffentlichen Raum" innerhalb des Projektschwerpunktes "weitergehen" in Kooperation mit dem Kunstverein in Hamburg (14. Februar bis 30. März 1997)

Aus Anlaß der Eröffnung der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle wollte die Hansestadt ihre Kunstinstitutionen im Umfeld des Hauptbahnhofes in einer "Kunstmeile" verklammern. Von der Alster bis zur Elbe, von der Kunsthalle bis zu den Deichtorhallen sollen Kunsttouristen und Hamburger Bürger von einem Kunsterlebnis zum nächsten flanieren. Was es wirklich auf der Kunstmeile ­ außerhalb von Museumswänden ­ zu sehen gibt, welche Probleme und Bedürfnisse hier den öffentlichen Raum bestimmen, wie die historische Entwicklung dieses Teils von Hamburg aussieht, diesen Fragen stellte sich das Projekt von Christian Philipp Müller.

Müller, 1957 geboren, hat in Zürich und Düsseldorf studiert. Er hat nicht nur an vielen wichtigen internationalen Ausstellungen wie zum Beispiel der Biennale in Venedig und der documenta X teilgenommen, sondern war zudem als Organisator und Kurator an bedeutenden Projekten beteiligt. Christian Philipp Müller sieht die Aufgabe des Künstlers darin, Aktionsräume und Grenzen sozialen Handelns in ortsbezogenen Projekten auszuloten und durch die Filterung von Fakten und Fiktionen das Verständnis für eine gegebene Situation zu vertiefen. Die Erforschung der Konstruktion Kunstmeile ist charakteristisch für seine Interventionen.

Schon zu Beginn des Jahres 1997 lud ein Fotowettbewerb dazu ein, persönliche Eindrücke auf der Meile festzuhalten. Alle Bilder wurden in die Ausstellung aufgenommen und sollten die vielfältigen Perspektiven auf einen Stadtteil belegen, die gegenwärtig allzu bündig auf die Formel "Kunstmeile" gebracht werden. Müllers Ausstellung arbeitete in 10 Kapiteln diese komplexe Problematik auf:

Nach einer Einführung in die Stadtgeschichte samt Befestigungsanlagen aus dem 17. Jahrhundert und deren Schleifung und Umwandlung in Grünanlagen im 19. Jahrhundert konnten die Veränderungen seit 1922 in Zehn-Jahres-Schritten verfolgt werden. Neue urbane Konzeptionen wie etwa das "Kaufhaus des Nordens" wurden anschließend gezeigt. Eine der Videoarbeiten sammelte Statements von Passanten, die mit denen von 25 Vertreterinnen und Vertretern des Hamburger Kulturlebens, darunter unter anderem die fünf Museumsdirektoren der Meile, Galeristen, Städteplaner, Architekten und Politiker, konfrontiert wurden. Eine dritte Viedeoarbeit zeigte eine besondere Art der Kunstmeilenerkundung durch Müller selbst.

Entlang der Kunstmeile stehen heute über 20 Kunstwerke, teils außen plazierte Skulpturen der Museen, teils für spezifische Orte realisierte Kunstwerke im Rahmen des Programms "Kunst im öffentlichen Raum". Von Max Bill bis Rémy Zaugg reichen die künstlerischen Positionen, die unterschiedliche Traditionen der Moderne spiegeln. Aber welche Wirkung entfalten diese Kunstwerke im öffentlichen Raum, werden sie den Ansprüchen, mit denen sie konzipiert wurden, gerecht?

Oder sollte die künstlerische Intervention eher so aussehen wie die dschungelartigen Bepflanzungen von Tita Giese, die auf Einladung von Müller Vorschläge für die Kunstmeile entwickelt hat? Unberührt von allen ästhetischen Fragen bleiben die großen sozialen Probleme: Drogenhandel und Drogenkonsum, der menschenfeindliche Verkehr, die abendliche Entvölkerung der Geschäftsregion.

Am 15. und 16. März 1997 fand innerhalb der Ausstellung ein Symposium zu neuen Tendenzen der "Kunst im öffentlichen Raum" statt. Teilnehmer waren Doug Ashford von Group Material und Miwan Kwon, beide aus New York, der Soziologe Ulf Wuggenig aus Lüneburg, die Hamburger Künstler Cathy Skene und Christoph Schäfer, Christian Philipp Müller aus New York sowie Stephan Schmidt-Wulffen und Achim Könneke aus Hamburg.

Die im Oktober 1997 erschienene Publikation "Kunst auf Schritt und Tritt" komplettiert die Feldstudie zur Konstruktion der Kunstmeile von Christian Philipp Müller. Die Fülle des Materials, die Vielzahl der Interviews, die er mit Passanten und Kunstbetriebs-Prominenten geführt hat, werden hier exemplarisch dokumentiert. Das Buch versammelt darüber hinaus kritische Aufsätze zu aktuellen Strategien öffentlicher Kunst in USA und Europa von acht Experten, darunter alle Referenten des Symposiums.

A. K.

Literatur:


Christian Philipp Müller; Achim Könneke (Hg.): Christian Philipp Müller. Kunst auf Schritt und Tritt. Public Art is everywhere, Hamburg 1997 (dt./engl.)

Arti et Amicitiae (Hg.): Christian Philipp Müller. Eh! bien prenons la plume, Amsterdam 1988

Palais des Beaux-Arts (Hg.): Christian Philipp Müller. Feste Werte, Brüssel 1991

Peter Weibel u. a. (Hg.): Stellvertreter. Andrea Fraser. Christian Philipp Müller. Gerwald Rockenschaub. Österreichs Beitrag zur 45. Biennale von Venedig, Wien 1993

Kunsthalle Zürich (Hg.): Platzwechsel. Ursula Biemann. Tom Burr. Mark Dion. Christian Philipp Müller, Zürich 1995

Marius Babias; Achim Könneke (Hg.): Die Kunst des Öffentlichen. Projekte/Ideen/Stadtplanungsprozesse im politischen/sozialen/öffentlichen Raum, Amsterdam/Dresden 1998



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