Dellbrügge & de Moll
"Hamburg Ersatz"
1998
1


Das Berliner Künstlerpaar Christiane Dellbrügge & Ralf de Moll hat im Rahmen des Projekts "weitergehen" das erste künstlerische Internetprojekt des Hamburger Programms "Kunst im öffentlichen Raum" entwickelt: Ihr "Hamburg Ersatz" war als work in progress zwei Jahre lang bis zum Sommer 2000 im Internet stationiert und wurde von Dellbrügge & de Moll unter Beteiligung der Besucherinnen und Besucher kontinuierlich weiterentwickelt.

Der "Hamburg Ersatz" stellt sich auf dem Bildschirm wie ein Turm mit sieben Etagen dar, die virtuell begehbar sind. Die Stockwerke wurden nacheinander eingerichtet und bezogen. Ausgehend von der Vorstellung, daß ein Haus seine Bewohner prägt, stellt Level 1 das Haus als Zelle menschlichen Wohnens vor und präsentiert damit verbundene Lebensentwürfe. Verschiedene utopische Motive durchziehen diese Ebene, der Gast wird durch eine Auswahl von Modellen geführt und kann am Ende des Datenspaziergangs seine eigenen Wünsche und Gedanken einsenden, um auf andere Ebenen Einfluß zu nehmen.

Level 2 ist der Stadt gewidmet und hat eine andere Benutzeroberfläche: Die Besucher können ungezwungen flanieren und umherschweifen. Stadtutopien wie Jonathan Swifts fliegende Inselstadt "Laputa", das versunkene Atlantis, die gebaute Sozialutopie "New Harmony", die Robert Owen im frühen 19. Jahrhundert realisierte, die emotionalen Stadtpläne der Situationisten oder die "Walking City" Archigrams aus den 60er Jahren haben hier ihre Spuren hinterlassen.

Auf der Agora der dritten Ebene artikulieren die Datenkörper der Ersatz-Hamburger, wie sie sich zu wohnen wünschen. Das Sprechzimmer in Ebene vier bietet Gespräche mit Spezialisten über das Funktionieren der Stadt, die Ekstase des Programmierens, mit Kunstpublikum gefüllte Fußballstadien, das Internet als Club und die Ambivalenz des staatlich berufenen Kurators für Kunst in öffentlichen Räumen.

Ein Satz beinhaltet die Imagination des Originals - im Auditorium der fünften Ebene kreieren die Besucher selbst ein akustisches Stadtambiente. Auf der sechsten Etage erwartet sie der Philosophenweg auf einen Plausch. Ganz oben angelangt genießen sie den Ausblick ins All, die Aussicht auf Reisen zum Mond, außerirdische Siedlungsformen und den Klang der Sphärenharmonien.

Der "Hamburg Ersatz" nutzt die spezifischen Werkzeuge des Netzes von Grafik, Animation und Sound, seine Hypertext-Struktur und die Möglichkeiten von Interaktivität und Feed-back der User. Für Besucher mit weniger Kapazitäten steht jedoch auch jeweils eine Light-Version ohne Animation und Ton zur Verfügung. Jede Etage enthält am Ende ein ausgewähltes Link- und Literaturverzeichnis.

Von dem, was im "Hamburg-Ersatz" virtuell erfunden wurde, wollen Dellbrügge & de Moll (beide Jahrgang 1961) die besten Ideen aus den gesammelten Vorschlägen real erbauen. Den Anfang machten die Künstler anläßlich ihrer Ausstellungen "modell" im Berliner Haus am Waldsee von August bis Oktober 1998 und in der Halle [k3] auf Kampnagel in Hamburg von November 1998 bis Januar 1999, in der sie Projekte zeigten, die sich mit der Idee des öffentlichen Raums auseinandersetzen. Einen weiteren Ableger in die reale Welt hat der "Hamburg Ersatz" im Sommer 1999 in Bregenz gesetzt. Überlegungen zu Grün, denen im Stadtgarten auf Level 2 nachgegangen wurde und zu interplanetarer Kommunikation auf Level 7 haben Dellbrügge und de Moll dazu bewogen, einen ersten Ufolandeplatz anzulegen, der im Rahmen der Ausstellung "Naturally Art" des Kunsthauses Bregenz im Stadtraum entstand.

Der "Hamburg Ersatz" wurde im Oktober 1999 auf dem Medienkunstfestival "Viper 99" in Luzern gezeigt, im November 1999 auf der "COMTEC art 99" mit einem Preis ausgezeichnet und lief ebenfalls im November 1999 im internationalen Wettbewerb der 4. Medien und Architektur Biennale Graz. Für den internationalen Medien-Kunstpreis des SWR und ZKM Karlsruhe, der im Jahr 2000 unter dem Thema "Urbanismus. Beziehungen zwischen Heimat, Metropolis und Elektropolis" läuft, wurde der "Hamburg Ersatz" nominiert.

Seit Mai 2000 hat der "Hamburg Ersatz" einen englischsprachigen Ableger anlässlich der Ausstellung "Models of Resistance" im Overgaden, Kopenhagen bekommen: http://www.copenhagen-substitute.homepage.dk

Als work in progress wird der "Hamburg Ersatz" noch bis zum Sommer 2000 unter http://hamburg-ersatz.trmd.de im Internet angesiedelt sein. Anschließend erscheint im Juni 2000 im Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg eine Bearbeitung für CD-Rom, die von eine Buch begleitet wird.

A. K.

Literatur:

HAMBURG ERSATZ von Dellbrügge & de Moll, Verlag + Institut für Moderne Kunst, Nürnberg 2000

weitergehen 1, Newsletter, Hamburg April 1997

weitergehen 2, Newsletter, Hamburg Oktober 1997

Marius Babias; Achim Könneke (Hg.): Die Kunst des Öffentlichen. Projekte/Ideen/Stadtplanungsprozesse im politischen/sozialen/öffentlichen Raum, Amsterdam/Dresden 1998


Weitere Arbeiten:

1989 "Ich liebe die Natur. - Ich auch.", Teilnahme am "Hamburg Projekt 1989"

1989 "Kaufhausmusik", Teilnahme am "Hamburg Projekt 1989"


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